Schmerz als Konsumgut – Heilung als Algorithmus
Wenn innere Wunden zur Ware werden – und das System davon profitiert.
Wir leben in einer Zeit, in der selbst die tiefsten menschlichen Zustände zu Content geworden sind.
Trauma.
Angst.
Verlust.
Schmerz.
Alles lässt sich heute verpacken – in Reels, Podcasts, 5-Schritte-Methoden. Und plötzlich wird das, was weh tut, zur Aufmerksamkeitswährung.
Heilung als Marketingstrategie
Die Versprechen sind überall:
„Löse deine Muster.“
„Werde die beste Version deiner selbst.“
„In nur 30 Tagen zu innerem Frieden.“
Doch was hier verkauft wird, ist oft kein echter Weg – sondern ein emotionales Produkt.
Und der Algorithmus liebt es. Je mehr Schmerz du zeigst, desto mehr Reichweite bekommst du. Nicht, weil du gehört wirst – sondern weil dein Leid klickbar ist.
Und wer profitiert davon?
Ein System, das vom Dauerzustand der Unzufriedenheit lebt. Von Menschen, die immer glauben, noch nicht ganz angekommen zu sein. Ob in der Selbstoptimierungs-Szene, im Coaching-Business, oder in der Psychoindustrie – es entstehen ganze Märkte rund um die Dauerbaustelle „Ich“.
Und das funktioniert nur, solange Menschen sich selbst als defizitär erleben.
Die stille Parallele zur Pharmaindustrie
Wie bei Medikamenten:
Nicht die Heilung ist lukrativ – sondern der ständige Mangel.
Je länger du dich für „nicht genug“ hältst, desto treuer bleibst du Kunde. Und wer an der Spitze sitzt – verdient. Nicht mit Wahrheit. Sondern mit Abhängigkeit.
Die Falle der Selbstdarstellung
Was einst persönlich und heilig war, wird heute öffentlich dokumentiert. Man teilt seinen Schmerz, seine Fortschritte, seine Erkenntnisse – nicht nur zur Inspiration,
sondern oft auch aus einem subtilen Druck heraus:
„Ich muss zeigen, dass ich mich entwickle.“ „Ich darf nicht mehr zurückfallen.“
Doch echte Heilung ist kein Bühnenstück. Sie braucht Fehler, Rückschritte, Phasen der Stille. Aber genau das lässt sich schwer teilen – weil es nicht performt. So entsteht eine neue Form der Überforderung:
Die Angst, beim Heilen zuzuschauen, ohne mitzukommen.
Spiritualität als Statussymbol
Auch die spirituelle Szene ist nicht frei davon. Achtsamkeit, Retreats, Breathwork, Schattenarbeit – sie werden zur neuen Selbstoptimierung, zum inneren Lifestyle. Nicht selten geht es mehr um Wirkung als um Wahrheit. Mehr um Ästhetik als um Integrität. Doch Bewusstheit ist kein Filter. Und Innerer Frieden hat keine Marke.
Wahrer Weg bedeutet oft:
Zweifel, Brüche, Alleinsein. Nicht Bali und weißes Leinen.
Der Schmerz verliert seine Würde
Was früher heilig war – das Hinschauen, das Spüren, das Warten – wird heute beschleunigt, verwertet, gestreamt. Aber Heilung ist kein Algorithmus.
Sie ist kein Format. Sie ist nicht monetarisierbar. Sie ist chaotisch, leise, individuell. Und sie passiert dort, wo kein Like hinreicht.
Was bedeutet das?
Dass du aufpassen darfst, wem du deine tiefsten Themen anvertraust. Nicht jeder, der sich verletzlich zeigt, meint es ehrlich. Nicht jeder, der dich triggert, will dich heilen. Heilung geschieht nicht durch Reichweite – sondern durch Resonanz. Durch echte Verbindung. Nicht durch Funnels.
Fazit
Der Schmerz ist kein Content. Und du bist kein Marktsegment. Wenn du fühlst, dass dich dieser Lärm nicht mehr nährt, sondern aufreibt – dann darfst du aussteigen. Heilung braucht keinen Algorithmus. Sie braucht Dich.
Ich schreibe nicht, um dich zu binden – sondern um dich zu erinnern:
Du bist kein Produkt.
Du bist Mensch.